| Veranstaltung: | außerplanmäßige BDKJ-Hauptversammlung 2025 |
|---|---|
| Antragsteller*in: | KjG, KLJB, Kolpingjugend, DV Limburg (dort beschlossen am: 04.11.2025) |
| Status: | Eingereicht |
| Eingereicht: | 05.11.2025, 11:48 |
DA1 - NEU: Freiwilligkeit stärken – keine Rückkehr zur Wehrpflicht
Antragstext
Angesichts der Zeitenwende, die durch den russischen Angriffskrieg gegen die
Ukraine und die damit einhergehende akute Bedrohung des Friedens in Europa
eingeleitet wurde, sowie mit Blick auf die zunehmend volatile weltpolitische
Lage, geraten Fragen der nationalen und europäischen Sicherheitspolitik
verstärkt in den Fokus[1]. Hinzu kommen autoritäre und militärische Dynamiken
sowie ein spürbarer Rechtsruck in vielen Teilen Europas, die den
gesellschaftlichen Zusammenhalt und die demokratischen Werte massiv
herausfordern[2]. In dieser Situation wird die Debatte um die Reaktivierung der
allgemeinen Wehrpflicht und die Einführung eines zivilen oder sozialen
Pflichtdienstes in Deutschland wieder mit großer Intensität geführt[3].
Die Hauptversammlung des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) spricht
sich innerhalb dieser Debatte gegen eine Reaktivierung der allgemeinen
Wehrpflicht und gegenjede Form von zivilem oder sozialem Pflichtdienst aus.Wir
bekräftigen unsere friedensethische Haltung, dass Sicherheit, Frieden und
gesellschaftlicher Zusammenhalt nicht durch Pflichtdienste, sondern durch
freiwilliges, werteorientiertes Engagement, politische Beteiligung und
demokratische Bildung entstehen.
Wir fordern daher die Stärkung freiwilliger Engagementmöglichkeiten aller
gesellschaftlicher Bereiche in strukturellen, pädagogischen und finanziellen
Aspekten. Das bedeutet für uns konkret:
- Freiwilligkeit statt Pflicht.
Junge Menschen dürfen nicht zu einem Dienst gezwungen werden. Ein
allgemeiner Pflichtdienst, unabhängig, ob militärisch oder zivil, ist ein
tiefer Eingriff in die Grund- und Freiheitsrechte und widerspricht unserer
Vorstellung einer selbstbestimmten und solidarischen Gesellschaft. Er
würde junge Menschen entmündigen, anstatt sie zu befähigen, freiwillig
Verantwortung zu übernehmen. Eine Musterung darf zudem nur dann erfolgen,
wenn eine Person grundsätzlich bereit ist, den Wehrdienst anzutreten. Ein
Losverfahren lehnen wir klar ab.
- Stärkung der Freiwilligendienste.
Die Jugendverbände und Freiwilligendienste zeigen seit Jahrzehnten, dass
Engagement funktioniert, wenn es auf Freiwilligkeit beruht. Der Bund muss
bestehende Freiwilligendienste (wie FSJ, FÖJ, IJFD, BFD) und deren Träger
strukturell, finanziell und rechtlich absichern. Dazu gehört ein
gesetzlicher Rechtsanspruch auf Förderung jeder abgeschlossenen
Freiwilligendienstvereinbarung zwischen Freiwilligen, Trägern und
Einsatzstellen und eine staatliche Vergütung mindestens auf BAföG-Niveau,
um soziale Hürden abzubauen[4]. Wir schließen uns der Forderung nach einem
Freiwilligendienste-Stärkungsgesetz an. Freiwilliges Engagement darf keine
Frage des Einkommens oder der sozialen Herkunft sein, um soziale Hürden
abzubauen[5].
- Politische Verantwortung und Beteiligung.
Junge Menschen und ihre Verbände müssen unverzüglich, dauerhaft und
ernsthaft in alle politischen Prozesse einbezogen werden, die ihre
Lebensrealitäten betreffen. Es muss mit jungen Menschen gesprochen und
ihre Meinung ernst genommen werden. Das gilt in der aktuellen Debatten um
die Reaktivierung des Wehrdiensts und den verpflichteten Ersatzdiensten
besonders. Wir fordern daher die Absenkung des Wahlalters und das
Zusprechen des aktiven Wahlrechts für junge Menschen[6]. Darüber hinaus
müssen Jugendverbände als zentrale Orte demokratischer Bildung und
Friedenserziehung gefördert und in politische Prozesse einbezogen werden.
Hier benötigt es Beteiligungsmaßnahmen, mittels derer Kinder, Jugendliche
und junge Menschen aktiv Einfluss nehmen können. Die Positionierungen von
Jugendverbänden sowie deren Stellungnahmen im Rahmen der
Verbändebeteiligung im Gesetzgebungsverfahren müssen in den politischen
Entscheidungen Einfluss finden.
- Notwendige Begleitstrukturen. Psychologische und sozialpädagogische
Begleitstrukturen müssen ein zentrales Element für Menschen in
Freiwilligendiensten sein. Dafür müssen die bestehenden Anlaufstellen und
Träger systematisch unterstützt und ausgebaut werden. Ebenso braucht es
diskriminierungs- und rassismussensible Strukturen sowie wirksame
Präventions- und Schutzkonzepte gegen sexualisierte Gewalt.
Trotz unserer klaren Haltung, die Pflichtdienste grundsätzlich ablehnt,
formulieren wir aufgrund der aktuellen Debatte zusätzliche Forderungen an die
Bundesregierung für den Fall einer Reaktivierung der allgemeinen Wehrpflicht.
Denn dann muss sie möglichst gerecht, freiheitswahrend und verantwortungsvoll
ausgestaltet sein. Das bedeutet für uns konkret:
- Gleichwertigkeit von militärischem und zivilem Dienst.
Die militärischen und zivilen Dienste müssen finanziell, strukturell und
gesellschaftlich gleichwertig ausgestattet und anerkannt sein. Hierbei
bedeutet die finanzielle Gleichwertigkeit, dass Anreize für einen Dienst
nicht so ausgestaltet sein dürfen, dass Menschen aus sozioökonomisch
schwachen Haushalten faktisch in einen Dienst gedrängt werden. Jede
Entscheidung muss frei getroffen werden können – unabhängig finanzieller
Hintergründe und ungleicher Chancen.
Daher bekennt sich der BDKJ grundsätzlich zu einem Dreisäulenmodell.
Dieses Modell betrachtet Freiwilligendienste (basierend auf den
geforderten Rahmenbedingungen eines Rechtsanspruchs) und den Wehrdienst
neben anderen Formen institutionalisierten Ehrenamts als gleichwertig
ausgestaltete Säulen des Engagements, zwischen denen junge Menschen
gleichberechtigt wählen können. Einen Wehrersatzdienst in Form eines
Zivildiensts als weiteres Format braucht es in diesem Modell nicht.
Zur Gleichwertigkeit zählt auch, dass die Anschreiben an junge Menschen
nicht nur über den Dienst in der Bundeswehr informieren, sondern ebenso
umfassend über alle zivilen Engagementmöglichkeiten aufklären und auf
diese verweisen. Nur dies schafft eine echte Wahlfreiheit zwischen den
Diensten, die im Sinne der Selbstbestimmung und des Abbaus des Klassismus
unbedingt ermöglicht werden muss. Darüber hinaus werden bereits geleistete
Dienste und ehrenamtliches Engagement in angemessener Form berücksichtigt
und anerkannt.
- Gleichbehandlung und Geschlechtergerechtigkeit.
Ein Wehrdienst müsste geschlechtergerecht und diskriminierungsfrei
ausgestaltet werden. Modelle, die ausschließlich junge Männer erfassen,
verstoßen gegen unsere Haltung zu Geschlechtergerechtigkeit sowie aus
unserer Sicht gegen Artikel 3 des Grundgesetzes. Daher lehnen eine
Verpflichtung auf Grundlage des Geschlechts entschieden ab und fordern
stattdessen freiwillige, diskriminierungsfreie Beteiligungsmöglichkeiten
für alle Geschlechter. Geschlechtergerechtigkeit bedeutet dabei nicht,
alle gleich zu behandeln, sondern die unterschiedlichen Lebensrealitäten
und Belastungen von Menschen gerecht zu berücksichtigen. Dazu gehört auch,
dass alle Verfahren – von den Fragebögen, über die Musterung bis hin zu
Auswahlprozessen – geschlechtsneutral, diskriminierungsfrei und inklusiv
gestaltet werden.
- Generationengerechtigkeit.
Es ist unfair und unsolidarisch, gesellschaftliche Herausforderungen und
Krisen allein in die Verantwortung und Kompensation der jungen
Generationen zu legen, wie es bereits in vergangenen Krisen[7] geschehen
ist. Generationengerechtigkeit muss Kompass politischer Verantwortung
sein[8]. Sie bedeutet für uns, Verantwortung für Sicherheit, Freiheit und
gesellschaftlichen Zusammenhalt solidarisch über alle Altersgruppen hinweg
zu tragen. Deshalb sollen nicht nur junge Menschen in die Pflicht genommen
werden. Friedenssicherung ist die Verantwortung aller Generationen.
- Notwendige Begleitstrukturen.
Im militärischen Dienst sind Menschen mit Situationen konfrontiert, die
tief in die persönliche Ethik, Psyche und Lebensperspektive eingreifen
können. Deshalb müssen psychologische und sozialpädagogische
Begleitstrukturen ein zentraler Bestandteil des Diensts sein. Es braucht
auch hier diskriminierungs- und rassismussensible Strukturen sowie
wirksame Präventions- und Schutzkonzepte gegen sexualisierte Gewalt.
Besonders hervorzuheben ist in diesem Kontext, dass junge Menschen nicht
zu Tätigkeiten verpflichtet werden dürfen, die ihrer psychischen
Gesundheit schaden oder Diskriminierung oder Traumatisierungen fördern.
Als positives Beispiel engagiert sich der BDKJ mit der “aktion kaserne”
gezielt für junge Soldat*innen. Dabei bieten wir politische und ethische
Bildungsangebote an, die das Leitbild des “Staatsbürgers in Uniform”
stärken. Zudem unterstützen wir sie dabei, Möglichkeiten für
ehrenamtliches Engagement im Rahmen der Streitkräfte wahrzunehmen und sich
als Vertrauenspersonen zu qualifizieren. Dieses Engagement ist Teil
unseres Beitrags zur Stärkung der ethischen und sozialen Begleitung im
militärischen Umfeld.[9]
Als überzeugte Christ*innen und Europäer*innen halten wir an unseren Zielen und
Werten fest, die wir in vielen Beschlüssen und detaillierten Forderungen an
Politik und Gesellschaft zum Ausdruck gebracht haben:
Konflikte werden nicht durch Aufrüstung gelöst, sondern durch Entwaffnung,
Rüstungsexportkontrollen, sowie Perspektivangebote für Betroffene.[10] Darüber
hinaus ist neben einer Sicherheitspolitik jenseits von Macht- und Militärlogik,
eine gezielte Stärkung von Krisenprävention, humanitärer Hilfe sowie Bildung und
Entwicklungszusammenarbeit essenziell zur Erhaltung und zum Wiederaufbau von
Frieden.[11] Und auch angesichts wachsender autoritärer und militärischer
Dynamiken ist eine friedensethische Weiterentwicklung nötig, die Menschenrechte,
zivile Konfliktbearbeitung und nachhaltige Friedensordnung ins Zentrum stellt.
Diplomatie und Friedensarbeit müssen vorrangig genutzt werden und militärische
Verteidigung darf nur als letztes Mittel gewählt werden.[12]
Wir fordern die Mitglieder des deutschen Bundestages, insbesondere den
Bundesverteidigungsminister und den Bundeskanzler dazu auf, die Perspektive
junger Menschen ernst zu nehmen und entsprechend zu berücksichtigen. Wir fordern
die Bundesjugendministerin zudem dazu auf, sich in allen Anliegen, die
insbesondere junge Menschen betreffen, sich für diese einzusetzen und eine
starke Stimme für sie im Bundeskabinett zu sein.
Wir fordern die Deutsche Bischofskonferenz auf, ihre im Oktober 2025
beschlossene Erklärung zur Wehrdienstdebatte[13] verstärkt in die politische
Diskussion einzubringen und sich entsprechend für friedensethische Perspektiven
und die Rechte junger Menschen einzusetzen.
Wir sind davon überzeugt, dass junge Menschen ihr volles Potenzial entfalten
können, wenn sie sich aus eigenem Antrieb engagieren. Wenn diese durch die
entsprechenden Rahmenbedingungen[14] gefördert werden, ergeben sich nachhaltige
Anreize für langfristiges freiwilliges gesellschaftliches Engagement.
[4] „Rechtsanspruch auf Förderung eines Freiwilligendienstes“, Beschluss der
BDKJ-Hauptversammlung 2024.
[5] „Rechtsanspruch auf Förderung eines Freiwilligendienstes“, Beschluss der
BDKJ-Hauptversammlung 2024.
[6] „Generationengerechtigkeit als Kompass politischer Verantwortung“, Beschluss
der BDKJ-Hauptversammlung 2024; „Jugend beteiligen jetzt!“, Beschluss der BDKJ-
Hauptversammlung 2019.
[7] Wie z.B. der Corona-Pandemie oder der Klimakrise, vermehrte Belastung des
Generationenvertrags durch den demografischen Wandel.
[8] “Generationengerechtigkeit als Kompass politischer Verantwortung”, Beschluss
der BDKJ-Hauptversammlung von 2025.
[10] “Kinder und Jugendliche wollen Frieden, keine Waffen”, Beschluss der BDKJ-
Hauptversammlung 2016.
[11] “Frieden ist mehr wert! Frieden und Sicherheit weiterentwickeln –
Perspektive für alle Menschen schaffen”, Beschluss der BDKJ-Hauptversammlung
2019.
[12] “Menschen schützen – Gewalt überwinden – Frieden nachhaltig stärken”,
Beschluss der BDKJ-Hauptversammlung 2023.
[14] „Rechtsanspruch auf Förderung eines Freiwilligendienstes“, Beschluss der
BDKJ-Hauptversammlung 2024; “Ehrenamt anerkennen – Engagement fördern und
würdigen”, Beschluss der DBJR-Vollversammlung 2017.
Begründung
Die Wiedereinführung der Wehrpflicht wird seit Frühjahr 2025 wieder intensiv politisch diskutiert. Das Bundeskabinett hat einen Gesetzesentwurf beschlossen, der eine verpflichtende Wehrerfassung ab 2026 und eine Musterung ab 2027 vorsieht. Die Union hat nun sogar die Debatte um einen sofortigen Pflichtdienst ohne freiwilligen Faktor neu aufgewärmt. Diese Entwicklung stellt einen massiven jugendpolitischen Rückschritt dar und verlangt eine klare Positionierung des BDKJ. Kritiker*innen und Befürworter*innen betonen, dass viele Weichenstellungen noch 2025 fallen werden. Außerdem erhalten bereits jetzt der BDKJ und seine Mitgliedsverbände zunehmend Nachfragen zu diesem Thema.
Der letzte Beschluss zur Wehrpflicht stammt aus dem Jahr 2002. Er forderte bereits damals die Aussetzung der Wehrpflicht aus jugend- und friedenspolitischen Gründen. Die damaligen Argumente, wie eingeschränkte Grundrechte, fehlende Wehrgerechtigkeit und das Ende der sicherheitspolitischen Bedrohungslage, sind bis heute gültig. Sie müssen jedoch im Lichte neuer Herausforderungen fortgeschrieben werden.
1. Freiwilligkeit als Grundlage jugendgerechter Gesellschaft
Freiwilliges Engagement ist Ausdruck von Eigenverantwortung, Solidarität und Demokratie. Diese Werte stehen im Zentrum der Jugendverbandsarbeit. Ein Pflichtdienst, ob militärisch oder zivil, widerspricht dieser Logik. Er entmündigt junge Menschen, anstatt sie zu befähigen, Verantwortung freiwillig zu übernehmen. Die Jugendverbände zeigen seit Jahrzehnten, dass Engagement funktioniert, wenn es auf Freiwilligkeit beruht.
2. Friedens- und sicherheitspolitische Perspektive
Friedens- und Konfliktforschung betonen, dass dauerhafte Sicherheit nicht durch Zwang und Militarisierung, sondern durch Prävention, Diplomatie, Bildung und soziale Gerechtigkeit entsteht. Friedenssicherung bedeutet, Ursachen von Konflikten (Armut, Ungleichheit, Klimakrisen, Diskriminierung) zu bekämpfen, anstatt militärisch zu reagieren. Der BDKJ steht für eine zivile Sicherheitspolitik, die auf internationale Kooperation, Versöhnung und Menschenrechte setzt.
3. Gleichbehandlung und Geschlechtergerechtigkeit
Ein Modell, das nur junge Männer erfasst, widerspricht den Grundwerten der Gleichberechtigung. Eine Ausweitung auf alle Geschlechter würde jedoch die Freiheitsrechte aller jungen Menschen massiv einschränken. Der BDKJ lehnt beides ab und fordert gleichstellungspolitisch konsequente Alternativen: Freiwilligendienste, politische Bildung und Engagementförderung.
4. Freiwilligendienste als gelebte Solidarität
Die Freiwilligendienste leisten einen zentralen Beitrag zur Demokratiebildung, sozialen Gerechtigkeit und Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen. Sie sind die friedliche, solidarische Alternative zur Wehrpflicht. Ein Rechtsanspruch auf Förderung und eine sozial gerechte Finanzierung sind notwendig, damit alle jungen Menschen unabhängig von Einkommen und Herkunft teilnehmen können.
5. Jugendgerechtigkeit und Teilhabe
Eine kinder- und jugendgerechte Gesellschaft nimmt die Perspektiven junger Menschen ernst. Sie schafft Freiräume statt Zwänge, fördert Bildung statt Musterung und setzt auf Engagement statt Pflicht. Junge Menschen sind Friedensakteur*innen – keine Ressource für sicherheitspolitische Symbolpolitik.
Handlungsauftrag an
Zeitrahmen
Ressourcen
Zuständigkeit
Änderungsanträge
- Ä1 (BDKJ Speyer (dort beschlossen am: 05.11.2025), Eingereicht)
